Im Interview: Geschäftsführerin Karina Buschsieweke von Lana Labs
Karina Buschsieweke ist die Geschäftsführerin des Berliner Process Mining-Start-ups Lana Labs, die wir Ihnen bereits im Rahmen unserer Serie „Künstliche Intelligenz in Germany“ vorgestellt haben Im Interview spricht der fintechcube Think Tank mit der Prozessexpertin über die Potenziale von künstlicher Intelligenz für Wertschöpfungsketten und wie sich Process Mining in den nächsten Jahren entwickeln wird.
Seit wann beschäftigen sich mit künstlicher Intelligenz? Was war ihr Auslöser, sich mit künstlicher Intelligenz auseinanderzusetzen?
Meine beiden Mitgründer haben am Hasso-Plattner-Institut im Bereich Process Mining promoviert. Als die beiden mit ihrer Forschung fertig waren, haben sie festgestellt, dass die Anbieter im Markt die Innovationen der Forschung noch gar nicht im kommerziellen Kontext umgesetzt haben. Das war auch der ausschlaggebende Punkt, um überhaupt noch mit einer weiteren Process Mining-Lösung in den Markt zu starten. Wir haben dann relativ schnell begonnen, Innovationen in den Markt zu bringen. Damals bestand Process Mining aus der Visualisierung von Prozessdaten und ein paar wenigen statistischen Auswertungsverfahren. Vielmehr war es da noch nicht. Das war zwar bereits ein riesiger Schritt, für viele sehr hilfreich und hat viele Erkenntnisse gebracht. Aber technologisch war das eigentlich noch gar nicht besonders komplex. Wir haben dann geschaut, wie man intelligentere Methoden nutzen kann, um Process Mining noch viel relevanter für verschiedenste Anwendungen zu machen. Da war künstliche Intelligenz natürlich ein wichtiger Faktor. Wir hatten eine der ersten Lösungen, die einen Machine Learning-Algorithmus eingesetzt hat. Das war die automatisierte Ursachen-Analyse.
Was wir beim Process Mining machen, ist Fehler und unerwünschte Verhaltensweisen in Prozessen aufzudecken. Die Frage, die man sich stellt, ist ja aber nicht, dass ein Fehler passiert ist, sondern warum ein Fehler passiert ist. Genau dieses “Warum” haben wir mit künstlicher Intelligenz bearbeitet.
Was kann künstliche Intelligenz in der Prozessoptimierung leisten?
Das ist ein großes Feld. Bei der Ursachenanalyse kann künstliche Intelligenz Muster in Prozessen aufzeigen und so atypische Verhaltensweisen erkennen. Im nächsten Schritt interessieren uns aber nicht nur die Dinge, die historisch falsch gelaufen sind. Ich möchte gern informiert werden, bevor ein Fehler überhaupt passiert. Was muss ich tun, um den Fehler zu vermeiden? Das ist ja die eigentlich interessante Frage. Es ist zwar schön, wenn ich auf Basis der Daten aus Fehlern lernen kann. Besser ist es natürlich, wenn ich benachrichtigt werde, wenn es wahrscheinlich wird, dass ein Fehler passieren wird. Hier sind wir in den klassischen Prediction-Anwendungen, die wir aktuell in das Process Mining reinbringen. Wir helfen Nutzern damit, ihre Aufgaben frühzeitig zu repriorisieren, um gewisse Fehler zu vermeiden.
Nehmen wir das Beispiel eines Bestellprozesses, an dem ich am Ende eine Rechnung zahlen muss. Als Unternehmen habe ich vielleicht Skonto-Konditionen ausgehandelt. Aus irgendeinem Grund schaffe ich es nicht, einen Teil meiner Rechnungen pünktlich zu bezahlen und verpasse die Skonto-Frist. Unser Algorithmus würde auf Basis der bisherigen Zahlungsverläufe vorhersagen können, für welche der noch nicht bezahlten Rechnung es wahrscheinlich ist, dass sie zu spät gezahlt wird.
In Produktionsprozessen geht es klassisch um Qualitätsthemen. Kann ich vorhersagen, dass ein gewisses Produkt in die Nacharbeit gehen muss? Wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Qualitätsproblem aufweisen? Auf dieser Basis kann ich meine Kapazitäten besser planen.
In der Zukunft werden Unternehmen viel stärker vernetzt sein. Auf der einen Seite betrifft das die Prozesse innerhalb des Unternehmens. Dieses Silo-Denken, das man heute noch viel findet, werden wir irgendwann überwinden. Dann werden wir in eine Richtung gehen, wo sich Prozesse selbst optimieren. Wir können so tief in die Steuerung eingreifen, dass ein Prozess kontinuierlich lernt, wie er am besten ausgeführt wird. Der Mensch kann zwar zwischendurch regulieren, der Prozess weiß jedoch, was er zu tun hat, um optimal abzulaufen.
Bevor ich mit Process Mining starten kann, muss ich Daten aufbereiten. Die Datenaufbereitung ist heute noch sehr aufwendig, besonders in Umgebungen mit verschiedenen IT-Systemen. In Zukunft wird man hier mit künstlicher Intelligenz arbeiten. Hier haben wir ersten Forschungsprojekte gestartet, und zwar zum Thema Data Discovery. Wir wollen einen Algorithmus entwickeln, der in den IT-Systemen Daten erkennt, die wir für Prozessanalysen heranziehen können. So soll auch die Datenaufbereitung vollautomatisiert laufen. Wenn wir ermöglicht haben, Daten automatisiert miteinander zu verknüpfen, dann können wir darüber nachdenken, Unternehmen über Wertschöpfungsketten hinweg zu verknüpfen. Hier kann künstliche Intelligenz dann über eine gesamte Lieferkette hinweg Optimierungs- und Verbesserungspotenziale erkennen.
Wo stehen wir heute mit künstlicher Intelligenz im Bereich des Process Mining? Welche neuen Entwicklungen zeigen sich bereits? Was wird im Bereich des Process Minings in circa fünf Jahren möglich sein?
Wir stehen mit künstlicher Intelligenz im Process Mining noch am Anfang. Die Predicitve Analysis und die Simulation sind hier spannende Werkzeuge. Aber man braucht auch nicht für alles künstliche Intelligenz. Auch mit fortgeschrittenen statistischen Verfahren lassen sich im Bereich der Prozessoptimierung viele Ineffizienzen aufdecken. Künstliche Intelligenz wird vor allem dann spannend, wenn wir in ein paar Jahren das Teilen von Daten stärker betreiben. Also wenn Unternehmen bereit sind, gewisse Prozesskennzahlen miteinander zu teilen und ein Benchmarking vorzunehmen. Lässt man künstliche Intelligenz auf dieser Datenbasis lernen, kann man enorme Vorteile schaffen.
Für welche Wirtschaftszweige schätzen Sie die Bedeutung der Prozessoptimierung durch KI am größten?
Wir fokussieren uns vor allem auf wertschöpfende Prozesse. Natürlich kann ich mit KI auch viel im administrativen Umfeld erreichen. Dort ist allerdings das Ende der Fahnenstange erreicht, nachdem einmal alles automatisiert wurde. In wertschöpfenden Prozessen haben wir viel mehr Faktoren, die zusammenspielen. Beispielsweise die einzelnen Akteure der Lieferketten, die Planung, die effiziente Logistik. Das sind Prozesse, in denen wir noch so viel Effizienz heben können — auch um nachhaltigere Lieferketten und Wertschöpfungsketten zu ermöglichen. Deshalb halte ich das industrielle Umfeld für einen der spannendsten Bereiche. Ich denke Process Mining ist hier einer der Grundpfeiler der digitalen Transformation.
Sie haben grade nachhaltige Prozesse angesprochen. Welches Potenzial hat Process Mining für eine nachhaltige Wirtschaft?
Wenn ich Prozessoptimierung betreibe, geht es darum, effizienter zu werden. Klar kann ich effizienter werden, im Sinne der Geschwindigkeit. Ich kann aber auch im folgenden Sinne effizienter werden: Ich werde besser, in dem was ich tue. Also zum Beispiel, dass ich weniger Ressourcen verbrauche. Ich kann auch effizienter mit der Arbeitszeit meiner Mitarbeiter umgehen und auch dort flexiblere Modelle schaffen. Ich kann Modelle finden, in denen ich Logistik- und Lagerkapazitäten mit anderen Playern meiner Wertschöpfungsketten teile. Wenn wir beginnen, Ressourcen untereinander noch besser aufzuteilen, gibt es wieder viele Möglichkeiten, effizienter zu werden. Gerade im Transport und der Logistik lassen sich so beispielsweise Leerkapazitäten minimieren — ein guter Effekt, was das Thema Nachhaltigkeit betrifft.
Ein anderes Thema, das sehr spannend ist, ist das CO2-Reporting. Wenn ich Prozessdaten aufnehme, kann ich auch berechnen, wie hoch die Emission in verschiedenen Teilen des Prozesses ist. Dann kann ich als Unternehmen optimal analysieren und vor allem messen, wie ich meine CO2-Emission am effektivsten reduzieren kann. Durch Process Mining kann ich genau verorten, wo die meisten Emissionen entstehen und dort auch ganz gezielt optimieren. Optimierung wird, wenn die regulatorischen Maßnahmen dafür getroffen wurden, nicht mehr in den klassischen Dimensionen Zeit, Kosten, Qualität verlaufen. Die Emission wird mitberücksichtigt werden. Prozesse müssen nachhaltiger werden, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.
Wie sieht der Prozess der Zukunft aus?
Der Prozess der Zukunft ist vernetzt, zwischen allen Akteuren. Data Sharing wird eines der Grundparadigmen sein. Die individuellen, wirtschaftlichen Prinzipien werden weiterhin hochgehalten werden, jedoch insgesamt im Sinne einer nachhaltigeren Wirtschaft.