In der Praxis: Künstliche Intelligenz und Human Resources

fintechcube
6 min readOct 12, 2020

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Herr Richter arbeitet seit 15 Jahren im Personalwesen. Sein Beruf hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt: Neben administrativen Aufgaben, die er regulär erledigen muss, fällt immer mehr Zeit für das Recruiting an. Damit sein Unternehmen beim War for Talents” nicht auf der Strecke bleibt, vor allem bei der Suche nach IT-Fachkräften, muss er immer mehr Zeit in die Recherche, das Anwerben von Kandidaten und Bewerbungsprozesse investieren. Künstliche Intelligenz (KI) kann dabei helfen, wiederkehrende Aufgaben zu automatisieren und effizienter zu gestalten. Wird die Technologie richtig eingesetzt, kann sie helfen, die Personalarbeit menschlicher zu gestalten. So müssen Herr Richter und sein Human Resources (HR) Department in Zukunft weniger Zeit für Routineaufgaben einräumen und können sich den individuellen Bedürfnissen der Mitarbeiter widmen.

Administrative Aufgaben automatisieren

Die Technische Universität Kaiserslautern hat in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Personalführung e.V. (DGFP) und dem Algorithm Accountability Lab im Jahr 2019 eine Befragung deutscher Unternehmen zum Einsatz von künstlicher Intelligenz in Human Resources durchgeführt. Die Ergebnisse sind recht widersprüchlich. Über 90 Prozent der Unternehmen stehen der Entwicklung positiv gegenüber und versprechen sich durch KI-Anwendungen im Personalwesen eine enorme Effizienzsteigerung. Zugleich gaben nur drei Prozent der befragten Unternehmen an, selbst künstliche Intelligenz in der HR zu verwenden. Bedenken zum Einsatz der Technologie haben die Befragten vor allem hinsichtlich der Transparenz der Verfahren, der Akzeptanz der KI-gestützten Bewerbungsverfahren bei den Kandidaten und in Hinblick auf den Datenschutz. Die Arbeit mit den Menschen soll beim Menschen bleiben.

Der erste Schritt für den Einbindung von künstlicher Intelligenz in das Personalwesen sind jedoch nicht die Bewerbungsverfahren, sondern die Routineaufgaben. Hier wird in den Personalabteilungen noch viel von Hand gemacht. Dabei können bereits einfache Automatisierungen hier viel ausrichten, beispielsweise bei der Auszahlung der Löhne oder beim Urlaubs- und Abwesenheitsmanagement. Existieren für beide Prozesse digitale Systeme und die Daten werden miteinander verknüpft, kann die Versendung der Lohnabrechnungen vollautomatisiert werden.

Auch beim Onboarding und wiederkehrenden Personalfragen kann künstliche Intelligenz Personaler entlasten. Statt alle Anfragen manuell zu beantworten, kann für Mitarbeiter ein Chatbot eingerichtet werden. Die Personalabteilung füttert den Chatbot zuvor mit Antworten und erweitert ihn regelmäßig mit neu aufgekommenen Fragen. Der Mitarbeiter bekommt für Standardfragen sofort eine Antwort und muss nicht darauf warten, dass die HR-Abteilung Zeit für seine Anfrage findet. Ist noch keine Antwort beim Chatbot hinterlegt, wird diese an einen Personaler weitergeleitet und bei allgemeinem Interesse in den Fragenkatalog aufgenommen. So kann der Chatbot sämtliche Anfragen für die Personalabteilung vorfiltern, den Aufwand für Antworten reduzieren und die HR-Manager entlasten.

Künstliche Intelligenz im Recruiting

Besonders die Aufgaben im Recruiting werden aufgrund des Fachkräftemangels und des sogenannten “War for Talents” immer umfangreicher. Es reicht nicht mehr aus, Stellenanzeigen auf den üblichen Portalen zu schalten. Um die richtigen Kandidaten zu finden, muss viel Zeit für Recherche aufgewendet werden. Ist der richtige Kandidat erst einmal gefunden, sollte dieser am besten persönlich auf die offene Stelle angesprochen werden. KI-gestützte Sourcing Tools können dabei helfen, den Rechercheprozess zu beschleunigen. Algorithmen können anhand von Anforderungen und Kriterien Business-Netzwerke wie Xing oder Linkedin nach passenden Kandidaten durchsuchen. Je nach Erfüllung des Kriterien-Sets erstellt die KI ein Ranking der Kandidaten. Diese können entweder je nach Rang mit einer persönlichen Nachricht kontaktiert werden oder die KI versendet automatisiert eine vorgefertigte Anfrage. Nicht nur in sozialen Netzwerken, auch bei der Auswertung schriftlich eingesendeter Bewerbungen kann künstliche Intelligenz die Personalabteilung unterstützen. Per Textanalyse sucht die künstliche Intelligenz in den Anschreiben und Lebensläufen nach Stichworten und trifft so eine Vorauswahl für den Recruiter.

Roboter sind perfekte „Zuarbeiter“ gerade bei einfachen, wiederkehrenden Aufgaben wie dem Screening, Erfassen, Sortieren und Selektieren von Daten.

Ralph Dennes, Managing Director DACH bei Textkernel, KI-Unternehmen für Personalarbeit

Die DBS Bank in Singapur setzt den virtuellen Recruiter JIM (Jobs Intelligence Maestro) ein, um die Lebensläufe von Kandidaten zu analysieren und eine Vorauswahl zu treffen. Es gibt bereits KI-Anwendungen im Recruiting, die noch einen guten Schritt weiter gehen.

Bewerbungsgespräche analysieren mit künstlicher Intelligenz

Das kalifornische Start-up TextRecruit hat den Chatbot Ari entwickelt. Ari kann selbstständig Bewerbungsgespräche in geschriebener Sprache durchführen. Die besten Kandidaten werden von Ari an die Personalabteilung weitergeleitet. Auch im Bewerbungsgespräch, das Face-to-face geführt wird, gibt es mittlerweile unterstützende KI-Anwendungen. Per Video- und Sprachanalyse können sie anhand des Tonfalls, der Körpersprache, der Wortwahl, des Sprachtempos und vielen weiteren Faktoren Aussagen zu Fähigkeiten, Einstellungen und Persönlichkeiten machen. Beispielsweise kann die KI daraus lesen, wie stark der Veränderungswillen ausgeprägt ist oder wie gut die Soft Skills eines Bewerbers sind.

Die künstliche Intelligenz des Aachner Start-ups Precire kann nach 15 Minuten Telefonat mit einem Bewerber Aussagen über dessen Persönlichkeit machen. Das Münchner Start-up Retorio erkennt per Videoanalyse, ob ein Kandidat offen und kommunikativ ist und sich für einen Sales-Job eignet. Immer mehr Tools dieser Art erscheinen auf dem Markt. Die Analysen können von Recruitern bei der Entscheidung herangezogen werden. In Deutschland sind Programme wie diese jedoch im ethischen Diskurs, da sie zur Diskriminierung von Kandidaten führen können und nur einen Teil der Qualifikationen berücksichtigen. Die Systeme sollten daher regelmäßig kontrolliert werden. Lassen sich bei den aussortierten Kandidaten Muster hinsichtlich Herkunft und Geschlecht erkennen? Um die Diversität seines Personals zu gewährleisten, muss systembedingte Diskriminierung ausgeschlossen werden.

Zugleich verspricht man sich vielerorts durch künstliche Intelligenz objektivere, diskriminierungsfreie Einstellungsverfahren — da anhand der Kompetenzen ausgewählt wird. Auch wenn die Stimmen hier recht verschieden sind, das Gesetz ist eindeutig. Aus dem Bundesdatenschutzgesetz geht bis dato hervor, dass es keinen vollautomatisierten Recruiting-Prozess geben darf. Die letzte Entscheidung muss vom Menschen getroffen werden.

Kompetenzmanagement und Personalentwicklung mithilfe von künstlicher Intelligenz

Fernab von Bewerbungsprozessen kann künstliche Intelligenz Personaler auch in der Arbeit mit festen Mitarbeitern unterstützen. Insbesondere um eine optimale Entwicklung zu gewährleisten, Potenziale und Bedarfe zu erkennen und den Einsatz von Personal bestmöglich zu planen. So sollte bereits bei der Einstellung für jeden Mitarbeiter ein Kompetenzprofil erstellt werden, welches kontinuierlich weitergeführt wird. Eignet sich der Mitarbeiter neue Kompetenzen an, führt ein Projekt erfolgreich zu Ende oder arbeitet nachweislich besonders gut mit einem anderen Kollegen, sollte dies vermerkt werden. In der Gesamtheit ergibt sich daraus eine Datenbank aus Fähigkeiten, die das Unternehmen strategisch einsetzen kann.

Welcher Mitarbeiter ist für eine neue Aufgabe am besten geeignet? Wo zeigen sich im Unternehmen Weiterbildungsbedarfe? Welche Mitarbeiter sollten an einer Schulung teilnehmen? Wie stelle ich das nächste Projektteam zusammen? Mithilfe einer gut gepflegten Datenbank und künstlicher Intelligenz können Fragen wie diese datenbasiert beantwortet und entschieden werden. Auch die Performance von Mitarbeitern kann anhand von Produktivitätskennzahlen, im Vertrieb beispielsweise Calls, Verkäufe oder Außendiensteinsätze, festgehalten werden. Diese Quantifizierung und Dokumentation werden auch oft als “People Analytics” bezeichnet. So lassen sich schnell Talente erkennen. Wird in nächster Zeit beispielsweise eine Führungsposition frei, können die geeigneten internen Kandidaten schnell gefunden und angesprochen werden.

Ausblick

Hand in Hand mit der künstlichen Intelligenz geht die Angst um, dass diese Arbeitsplätze zerstören wird. Eine Studie des Weltwirtschaftsforums hat ergeben, dass durch die Digitalisierung bis 2025 weltweit 74 Millionen Jobs verloren gehen und zeitgleich durch sie 133 Millionen gewonnen werden.

Daraus ergibt sich ein Wandel der Berufsbilder und der geforderten Kompetenzen. Diese Entwicklung muss vor allem durch die Personalabteilungen und Bildungseinrichtungen gestemmt werden. HR-Departments sollten daher die Chance nutzen, ihre Prozesse durch künstliche Intelligenz zu vereinfachen und zu beschleunigen. Denn sie werden zunehmend weniger Zeit für administrative Aufgaben und Recherche haben. Viel mehr wird es für HR-Manager darum gehen, Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten. Sie müssen die Unternehmensattraktivität präsentieren und gewährleisten — durch individuelle Mitarbeiterentwicklung, Gesundheitsmanagement, Flexibilität und eine gute Work-Life-Balance. Künstliche Intelligenz bietet der HR das Potenzial den Aufwand für Routineaufgaben zu reduzieren und Platz für empathische Aufgaben zu schaffen.

Drei Tipps für Personaler:

  1. Sammeln Sie Mitarbeiterdaten und machen Sie diese für Ihr Unternehmen nutzbar. Algorithmen können dabei helfen, Potenziale und Bedarfe Ihrer Mitarbeiter zu erkennen.
  2. Prüfen Sie, ob Sie künstliche Intelligenz in wiederkehrenden Aufgaben unterstützen kann und inwieweit diese automatisiert werden können. So schaffen Sie mehr Raum für andere Themen.
  3. Im Recruiting kann Ihnen künstliche Intelligenz helfen, eine Vorauswahl zu treffen. Ihre Anwendungen sollten Sie jedoch regelmäßig hinterfragen und prüfen. Die letzte Entscheidung muss jedoch stets beim Menschen liegen.

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