Künstliche Intelligenz Made In Germany
Im Porträt: Rasa CEO Alexander Weidauer
Ihr Wecker klingelt, sie drücken mürrisch auf die Snooze-Taste. Während Sie sich “nur nochmal fünf Minuten” hinlegen, bemerken Sie ein verdächtiges Kratzen im Hals. Und plötzlich stehen Sie im Bett. Haben Sie sich etwa angesteckt? Anstelle der langen Warteschleife in der Coronavirus-Hotline können Sie sich in einigen Städten und Kliniken in dieser Situation von einem Chatbot beraten lassen. Dieser ist sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag für Sie verfügbar und beantwortet Ihnen schnell, ob Sie zu Hause bleiben sollten und für einen Covid-19-Test in Frage kommen.
Chatbots sind bereits in vielen Bereichen des Lebens etabliert. Aus dem Kundenservice im eCommerce ist die Konversationstechnologie kaum noch wegzudenken. Chatbots helfen beim Ausfüllen von Anträgen. In den nächsten Jahren werden Chatbots in weitere Bereiche vordringen. Wo es Fragen gibt, wird es auch Chatbots geben. Das Berliner Start-up Rasa bietet Open Source Tools an, um jedem Unternehmen und jeder Institution zu ermöglichen, einen eigenen Chatbot aufzusetzen.
Der Gründer
Alexander Weidauer ist Co-Gründer und Geschäftsführer von Rasa. Er hat Informatik und Management an der Technischen Universität Berlin studiert. Nach seinem Studium war er bei McKinsey sowie verschiedenen Tech-Start-ups tätig. Im Jahr 2013 zog es den Entwickler nach Großbritannien. An der London School of Economics and Politicial Science absolvierte er seinen Master-Abschluss. In London traf er auf Alan Nichol, mit dem er im Jahr 2014 das Unternehmen “Treev” ins Leben rief. Treev bot ein Tool an, mit dem man in Dropbox, Google Drive, Box oder Trello nach Dokumenten suchen konnte.
Hier habe ich gelernt, wie man Produkte nicht baut!
Das Unternehmen war nur wenig gefragt und die beiden Gründer mussten sich schon bald geschlagen geben. Im Zuge Ihres Misserfolgs befassten sich die Entwickler mit künstlicher Intelligenz, insbesondere mit maschinellem Lernen und Chatbots.
Die Anfänge
Zu Beginn versuchten Weidauer und Nichol im Jahr 2015 selbst einen Chatbot zu entwickeln.
Dabei merkten wir schnell: Das ist sehr, sehr schwierig.
Eine Demo-Version war in kürzester Zeit aufgesetzt. Wenn der Bot allerdings auf echte Nutzer losgelassen wird, zeigt das System schnell seine Schwachstellen auf. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie Menschen Fragen stellen, bauten sie ein Bot-Interface für den Kundenkontakt. Die Nachrichten an den Bot wurden über Slack an die beiden Gründer weitergeleitet.
Wir haben erstmal so getan, als wären wir ein Bot.
Mit ihren gesammelten Erfahrungen entwickelten Weidauer und Nichol ein Konzept für ein Tool, das Entwicklern hilft, Chatbots zu implementieren. Im November 2016 gründeten sie Rasa.
Rasa bietet seine Software als Open Source an. Die Anwendung soll Entwicklern weltweit eine Infrastruktur bieten, um eigene sprachgesteuerte oder textbasierte Chatbots zu entwickeln. So können die Anwender selbst über ihre Daten bestimmen und unabhängig von den großen Playern der Technologie-Branche Chatbot-Systeme aufsetzen. Die Anwendung basiert auf Machine Learning und lernt mit jeder Unterhaltung dazu. Bei Chatbots müsse sich die Art der Produktentwicklung verändern, erklärt Weidauer. Die Entwickler brauchen eine gewisse Bereitschaft ein Produkt zu veröffentlichen, bevor es fertig ist.
Weidauer zielt auf einen fortgeschritteneren Chatbot ab, der aus dem Kontext erkennt, wie er den Dialog mit dem Nutzer weiterführen sollte.
Wir wissen, dass simple Bots tot sind.
Mithilfe von künstlicher Intelligenz können Chatbots immer weiter lernen und Menschen besser verstehen. Bei der sogenannten kontextualen Analyse arbeitet die Software nicht nur mit einem Frage-Antwort-System oder vorher festgelegten Regelungen, sondern kann sich aus Phrasen und Aussagen selbst herleiten, wie das Gespräch weiter verläuft. Mit jeder geführten Unterhaltung erweitert der Chatbot sein Wissen. Mit der Anwendung von maschinellem Lernen will Rasa helfen, Chatbots zu entwickeln, die Kunden wirklich verstehen.
Der Aufstieg
In der ersten Finanzierungsrunde konnte Rasa Basis Set Ventures, Jens Lapinkski und weitere Investoren gewinnen und insgesamt 1,1 Millionen US-Dollar für das Unternehmen einholen. Die entwickelte Software von Rasa ist frei verfügbar. Rasa finanziert sich neben den Investments über die Implementierung und Individualisierung der Software für Kunden und zusätzliche Module. Zu ihren Kunden gehören mittlerweile UBS, N26 und Adobe. Bereits Mitte 2019 soll die Open Source Software eine halbe Millionen Mal heruntergeladen worden sein.
Die große Überraschung in der zweiten Finanzierungsrunde: Das Start-up streicht auf einmal 13 Millionen US-Dollar ein. Unter anderem investieren Wagniskapitalgeber Accel , Hashcorp-Gründer Mitchell Hashimoto, Alexander Rinke und viele weitere in Rasa. Das Start-up investiert das Geld in die Weiterentwicklung ihres Produkts sowie in die Eröffnung eines neuen Büros in San Francisco. Ein großer Kostenpunkt ist die Forschung des Unternehmens und die Tech-Community. Insgesamt 400 Entwickler haben sich an der Open Source Software beteiligt. Auf der Website von Rasa ist ein Forum für die Community aufgebaut worden, auf dem das Unternehmen seine neuen Erkenntnisse teilt und diskutiert. Der Austausch mit der Tech-Community hat einen hohen Stellenwert für das Start-up.
Wir sind gespannt, wie Rasa von Developern eingesetzt wird.
Bis heute verzeichnet Rasa 2 Millionen Downloads ihrer Open Source-Lösung. Erst kürzlich haben Weidauer und Nichol ein neues Produkt auf den Weg gebracht. Mit “Rasa X” haben sie eine Review-Software entwickelt, die Entwicklern die Möglichkeit bietet, Trainingsdaten besser zu verstehen. Das Forbes-Magazin hat Alexander Weidauer in die “Forbes 30 Under 30 Europe” gewählt. In kürzester Zeit ging es für Rasa bergauf. Ihre Community wächst und wächst. Entwickler auf der ganzen Welt wenden die Software an und treten mit Rasa in den Diskurs. Ihr Forum hat bereits heute 9.500 Mitglieder. Mit ihrem Wissen, schreitet auch Rasa voran. Der nächste Schritt:
Ich möchte eine Company bauen, die sich selbst trägt und die irgendwann an die Börse gehen kann.
Open Source ist die Zukunft
Mit dem Angebot einer freien Software weist Rasa in die Zukunft. Immer mehr Unternehmen scheuen Lock-In-Effekte durch die Software der großen Technologie-Unternehmen. Es zeigt sich ein Trend, dass Unternehmen ihre Systeme und Daten intern verwalten möchten und digitale Unabhängigkeit anstreben: Systemintegration, Erweiterungen und Wartung sollen eigenständig gelöst werden können. Durch die Zuarbeit von Entwicklern weltweit an der Open Source Software kann Rasa eine besonders hohe Qualität gewährleisten und als junges Unternehmen mit den großen Playern mithalten. Auch diese scheinen den Wert von Open Source erkannt zu haben.
IBM beispielsweise zeigt mit der Akquisition von Open Source Software-Entwickler Red Hat und dessen Repräsentation im neuen Vorstand des Unternehmens eine neue Strategie und einen Kulturwandel — hin zur freien Software. Weidauer und Nichol lagen mit der Entscheidung für Open Source also goldrichtig. Auch ihr globaler Ansatz und die Investition in die Community tragen zur Qualität ihrer Software bei. Rasa: Künstliche Intelligenz Made in Germany, für die es noch hoch hinaus gehen wird. Sie möchten sich selbst an einem Chatbot versuchen? Das notwendige Handwerkzeug von Rasa finden Sie hier.
Was Sie über die Entwicklung von Chatbots mitnehmen können:
- Open Source Tools von Rasa unterstützend bei Entwicklung von Chatbots
- Echte Kundendaten für Training des Chatbots verwenden
- Bereitschaft, unfertiges Produkt auf Kunden loszulassen, um weiter zu lernen
- Maschinelles Lernen ermöglicht kontextuale Analyse für bessere und natürliche Antworten
Autorin: Sarah Kolberg
Sarah Kolberg ist Redakteurin bei fintechcube und hat sich in ihrer bisherigen Laufbahn vor allem mit der digitalen Transformation im Public Sector beschäftigt.